EM

Schiris bei der Heim-EM: Qualitätslücke und Hierarchiewechsel

UEFA könnte mehrere deutsche VAR nominieren

DFB-Schiris bei der Heim-EM: Qualitätslücke und Hierarchiewechsel

Hoffen auf eine EM-Nominierung am Dienstag: Felix Zwayer (li.) und Daniel Siebert.

Hoffen auf eine EM-Nominierung am Dienstag: Felix Zwayer (li.) und Daniel Siebert. imago images (2)

Im Vorfeld der um ein Jahr verschobenen EM 2021 sorgte die UEFA für eine große Überraschung, auch beim Beteiligten. Seinerzeit wurde Daniel Siebert (39) aus der nur zweithöchsten UEFA-Kategorie "First" für die kontinentalen Titelkämpfe nominiert. Der Berliner überholte damit seine Landsmänner Deniz Aytekin (45), damals auch wegen einer längeren Verletzungspause im Nachteil, Felix Zwayer und Tobias Stieler (beide 42) aus der höchsten Kategorie "Elite" auf der rechten Spur.

Im Schatten von Felix Brych (48), der langjährigen deutschen Nummer eins auf internationalem Parkett, durfte Siebert Spiele bei seinem ersten großen Turnier leiten. Während Brych mit fünf Einsätzen inklusive eines Halbfinalspiels einen neuen EM-Rekord aufstellte, hinterließ Siebert einen stabilen Eindruck und bekam als Neuling nach zwei Gruppenpartien sogar ein Achtelfinale zugeteilt.

Siebert: Unglücklich bei der WM, danach zu oft fehlerhaft

Brych kündigte nach der EM das Ende seiner internationalen Laufbahn zum Jahreswechsel 2021/22 an und Siebert betonte im kicker-Interview, die international nun übernommene "Poleposition natürlich verteidigen zu wollen". Das gelang ihm nur bis zur WM 2022. In Katar war Siebert der einzige deutsche Feld-Schiedsrichter, machte unterm Strich aber eine unglückliche Figur.

Nach seinem zweiten Einsatz in der Gruppenphase beim Spiel Ghana gegen Uruguay (0:2) sah sich Siebert heftigen Attacken der Südamerikaner ausgesetzt, die zum Weiterkommen ein Tor mehr gebraucht hätten und sich vom deutschen Schiri massiv benachteiligt fühlten. Danach war das Turnier für Siebert beendet - obwohl das DFB-Team nicht die K.-o.-Runde erreichte. Siebert hatte unter anderem ein Strafraumszene mit Uruguays Stümer Edinson Cavani nicht mit Strafstoß geahndet.

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Siebert führte dafür einerseits zumindest plausible Argumente ins Feld, andererseits war die Szene auch direkt bereits unter deutschen Experten umstritten. Bei der UEFA soll die Entscheidung nach kicker-Informationen nicht gut angekommen sein, zudem soll es den Verantwortlichen um Chef Roberto Rosetti nicht geschmeckt haben, dass Siebert seine Entscheidung im Nachgang in Interviews recht offensiv verteidigte.

Das ist einer von mehreren Gründen, warum Siebert seinen Vorteil eingebüßt hat und zuletzt in der Hierarchie der deutschen FIFA-Schiris von Zwayer zurücküberholt wurde. Der Hauptgrund allerdings sind Sieberts Leistungen auf dem Platz. Besonders seit der WM lieferte er national wie international für seine exponierte Stellung als nominelle Spitzenkraft zu viele fehlerhafte und unglückliche Spielleitungen ab - wie am gestrigen Sonntag beim Spiel Dortmund gegen Leverkusen (1:1).

UEFA-Nominierung wohl am Dienstag - Ansetzungen sprechen klare Sprache

Die UEFA, die wohl am Dienstag ihre EM-Unparteiischen bekannt gibt, kommentiert Spielleitungen und Einzelszenen während einer Saison so gut wie nie öffentlich und lässt sich auch in Personalfragen nicht in die Karten blicken. Dafür sprechen die Ansetzungen im Europapokal eine recht deutliche Sprache.

Siebert bekam in der Saison 2022/23 nach zwei Gruppenspielen vor der WM danach keine Champions-League-Ansetzung mehr, durfte dafür in der Europa League aber noch je ein Achtelfinal- und ein Halbfinalspiel leiten. In der aktuellen Saison kam Siebert in der Königsklasse nicht über zwei Gruppenpartien hinaus, pfiff in der Europa League ein Achtelfinal-Hinspiel und in der Conference League ein Viertelfinal-Hinspiel.

Zwayer zuletzt auch national stabiler

Zwayer lieferte zuletzt national wie international die stabileren Leistungen ab, wie etwa die kicker-Notenschnitte in der Bundesliga dokumentieren. Zwayer liegt in der laufenden Saison bei 2,41, Siebert bei 2,96.

Zwayer kommt 2023/24 wie schon 2022/23 auf je vier Champions-League-Ansetzungen, leitete in beiden Saisons je ein Achtelfinalspiel. Zudem wurden dem ebenfalls aus Berlin stammenden Referee in diesem Frühjahr in der Europa League sowohl in Achtel- als auch Viertelfinale je ein entscheidendes Rückspiel anvertraut. Im Juni 2023 pfiff Zwayer zudem das Nations-League-Finale zwischen Kroatien und Spanien.

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Stieler, nach Aytekins internationalem Abschied 2022 der dritte verbliebene Deutsche in der "Elite", durfte in der vorigen wie in der aktuellen Saison jeweils drei Gruppenspiele in der Königsklasse leiten und war zuletzt im Viertelfinal-Rückspiel der Conference League zwischen Fenerbahce und Olympiakos im Einsatz. Seine EM-Teilnahme bezeichnete Stieler Ende September 2023 bei einer DFB-Aktion für Amateurschiris selbst als unwahrscheinlich.

Große Qualitätslücke nach Brychs Abschied

Gut möglich also, dass der national seit jeher umstrittene Zwayer als einziger deutscher Schiri von insgesamt wohl 18 Referees bei der Heim-EM auf dem Rasen stehen wird. Das wäre ein Rückschlag für Siebert, der seinen Vorsprung durch seine Leistungen nicht halten konnte und von Seiten der UEFA ein Hinweis auf die Qualitätslücke, die seit Brychs Abschied aus deutscher Sicht im internationalen Bereich weiterhin klafft.

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Brych, der sich gerade in der Reha nach seinem Kreuzbrandriss befindet und in der Bundesliga noch mal pfeifen möchte, hält mit 69 Einsätzen den Champions-League-Rekord und war als Top-Mann der UEFA bei vier großen Turnieren (WM 2014 und 2018, EM 2016 und 2021) im Einsatz. Zwayer steht vor seinem ersten Turnier und hat bei Weitem nicht das hohe Standing, das sich Brych international durch seine Leistungen erarbeitet hatte.

Auch hinter dem Trio der Elite-Kategorie mangelt es an Top-Qualität. Harm Osmers und Sascha Stegemann (beide 39) zählen als einzige DFB-Schiris zur First-Kategorie. Während Osmers national zumindest weitgehend solide Leistungen zeigt und in der aktuellen K.-o.-Phase der Conference League bis zum Achtelfinale zwei Spiele leiten durfte, ist Stegemann in den vergangenen Jahren in Bundesliga und 2. Liga immer wieder durch größere Fehler aufgefallen und hat diese Saison als Feld-Schiedsrichter seit Ende Oktober 2023 keine internationale Ansetzung mehr bekommen.

Lichtblick Jablonski

Zumindest einen Lichtblick für die Zukunft gibt es aus deutscher Sicht: Sven Jablonski (34). Der Bremer, der in der Bundesliga in puncto breiter Anerkennung und Akzeptanz, auch bei Spielern und Managern, schon nach dem weiterhin hoch geschätzten Aytekin folgt, steht allerdings erst seit Anfang 2022 auf der FIFA-Liste. Diese Saison pfiff er bis zum Winter seine ersten fünf Europacup-Spiele im Herrenbereich und dürfte ab Sommer weiter gefördert werden.

Falls für die aktuelle EM tatsächlich nur Zwayer nominiert wird, könnte die UEFA zumindest im VAR-Bereich mehrere Vertreter der Gastgebernation berufen. Marco Fritz, der im Sommer seine Laufbahn auf dem Platz und vor den Monitoren beenden wird, könnte nach Einsätzen bei der EM 2021, der WM 2022 und der Frauen-WM 2023 zu seinem vierten großen Turnier als VAR berufen werden. Bastian Dankert (WM 2018, Frauen-WM 2019, EM 2021, WM 2022) gilt ebenso als heißer Anwärter. Einen möglichen dritten deutschen VAR könnte Christian Dingert (EM 2021, Frauen-EM 2022) verkörpern.

Carsten Schröter-Lorenz

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